Rathaus ratlos, Nr. 174 - April 06
Legenden um den Barmer Block
von Jörg Frank, MdR
Kürzlich besetzten vorwiegend Aktivisten der "Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim" die Wohnhäuser des "Barmer Blocks" an der KölnMesse. Es handelt sich um Wohnungen, die vormals der Genossenschaft Erbbauverein Köln eG gehörten. Die Bewohner sind längst in neue und bessere Wohnung des Erbbauvereins verzogen. Das Grundstück wurde Ende 2002 auch mit Zustimmung der GRÜNEN von der Stadt gekauft, um dieses zwischen Bahnhof und Messe sehr günstig gelegene Areal als gewerblichen Standort zunutzen. Am 30.6. soll das Grundstück nach Abriss der Häuser an die Stadt übergehen. Im Zuge der Planungen zur Modernisierung der Messe und dem Bahnhofsausbau zum als "ICE-Terminal Deutz/Messe" sollen dort Büro-, Hotel-, und Kongressnutzungen entstehen. Das sieht das städtebauliche Planungskonzept von 2002 vor. Die Forderungen der Besetzer sind indifferent: Wurde zuerst eine befristete Zwischennutzung für studentisches Wohnen gefordert, soll nun mitten in einer Gewerbenutzung dauerhaft Wohnen möglich sein. In hitzigen Disput werden von Wortführern der Besetzer zahlreiche gezielte Falschmeldungen und Legenden öffentlich aufgetischt. "Rathaus Ratlos" klärt auf.
Behauptung: "65 Mio.
€ sind versenkt worden. Weniger als 20 Mio. € werden wieder auftauchen.
Mithin droht ein Verlust von 50 Mio. €."
Tatsache ist: Die Stadt kauft das Grundstück vom Erbbauverein für
22,5 Mio. €. Dieser Betrag wird durch den Verkauf an Investoren mit ziemlicher
Sicherheit wieder refinanziert.
Behauptung: "Durch den Abriss wird im großen Stil Wohnraum vernichtet."
Tatsache ist: Für die 381 Wohnungen, die abgerissen werden, entstanden
bereits 511 neue Wohnungen des Erbbauvereins in hohem ökologischem Standard
einschließlich Kita in integrierten Wohnlagen. Dafür wurden 100 Mio.
€ investiert. Somit wurden Wohnungen verlagert und neue geschaffen. Die
Stadt investierte 42,5 Mio. € durch Zahlung an den Erbauverein, der den
Wohnungsneubau zur Bedingung für den Grundstücksverkauf machte. Diese
Summe wurde für Umzugshilfen, Projektentwicklung und modernen Wohnungsbau
verwendet. Ein sinnvolles Investment, das sowohl der Wohnraumschaffung als auch
der Aufwertung des Messeumfeldes dient, um Firmen und damit Arbeitsplätze
anzusiedeln.
Behauptung: "Vermutlich wird der Esch-Fonds ein neues Kongress-Zentrum
dort bauen."
Tatsache ist: Ein Kauf- oder Investmentangebot dieses Fonds liegt gar nicht
vor. Selbst wenn. Aufgrund des dubiosen Messehallen-Deals würde sich dafür
auch kaum eine Ratsmehrheit finden. Zweck der Behauptung ist eine Spekulation
in die Welt zu setzen, um auf mediales Interesse zielende Suggestion eines "Messeskandals
II" zu erzeugen. Für den Skandal fehlen zwar die Fakten. Aber das
krude Gebräu aus "Wohnraumvernichtung" und "Esch-Fonds"
soll verfangen. Ob im Workshop die Planung eines großen Kongresszentrums
aufgrund der regionalen Wettbewerbslage aufrechterhalten wird, ist nicht sicher.
Zumindest SPD und GRÜNE erwarten ein privates Investment und keine Übernahme
von Verlusten aus einem Kongressbetrieb.
Behauptung: "Über 38 Mio. € stammen aus Wohnungsbaumitteln."
Tatsache ist: Wohnungsbaufördermittel, wie sie das Land NRW Kommunen zur
Verfügung stellt, was hier suggeriert wird, wurden nie verwandt. Dies wäre
auch rechtlich nicht zulässig.
Chronologie
2004: Durch die öffentlich wachsende Kritik an der Hochhausplanung, hervorgerufen durch die Absicht der UNESCO, den Titel Weltkulturerbe für den Dom abzuerkennen, gerät auch die Umsetzung des Planungskonzepts für das "Barmer Viertel" ins Stocken. Eine Planungsänderung ist absehbar. In dieser Situation befürchteten die GRÜNEN, dass nach dem Abriss der Häuser über längere Zeit das Grundstück brachliegt. Eine sinnvolle Zwischennutzung lag nahe. Wohnungen für Studierende bietet sich an. Barbara Moritz, Vorsitzende und zuständig für Stadtentwicklung, führte daraufhin mit Entscheidern und Akteuren, u.a. dem Studentenwerk, darüber Gespräche. Aber letztlich fand sich dafür keine politische Mehrheit im Rat. Der Kämmerer kalkulierte mit den Grundstücksverkaufserlösen bereits im Haushaltssicherungskonzept.
2005: Die Situation hat sich verändert. Die Bahn hat den endgültigen Umbau des Bahnhofs nach 2025 verschoben. Dadurch muss der Messe-Eingang der Messe provisorisch nach Osten versetzt werden. Der Rat folgt der UNESCO. Eine Umplanung wird notwendig. Inzwischen melden Investoren für die Grundstücke Interesse an.
04.03.06: SSM-Aktivisten und Unterstützer besetzen die Häuser im Barmer Viertel.Der städtebauliche Workshop zur Anpassung der Planung für Barmer Viertel und Bahnhof beginnt. Am grundsätzlichen Ziel des Bebauungsplans - einem Bürostandort mit Messe-affinen Nutzungen - wird sich nichts ändern
21.3.06: Die Mitgliederversammlung der Kölner Grünen befürwortet, den Barmer Block zumindest so lange zu erhalten, bis die Realisierung einer neuen Nutzung bevorsteht. Bis dahin sollen die Wohnungen in Kooperation zwischen Stadt und Studentenwerk an Studierende vermietet werden.
23.3.06: Die Ratsgrünen
beschließen mit ihrem Kooperationspartner über die Möglichkeiten
für eine befristete Nutzung des Barmer Blocks für studentisches Wohnen
zu verhandeln.
24.3.06: Die KölnMesse erwartet einen Abriss bis zum 30.6., weil sonst
der Neubau des Eingangs Süd und damit das Investment gefährdet ist.
25.3.06: Die Verwaltung lässt verlauten, dass mit dem Erbbauverein Einvernehmen über den termingerechten Abriss bestünde.
28.3.06: Die Verhandlungen der GRÜNEN ergeben, dass im Rat keine Mehrheit für eine Zwischennutzung zum jetzigen Zeitpunkt politisch erreichbar ist.
29.3.06: Die Ratsgrünen
beschließen, dem Rat am 4.4. ein Moratorium vorzuschlagen. Nur der Abriss
des Barmer Blocks soll ausgesetzt werden, bis die Ergebnisse des Workshops vorliegen
und vom Rat bewertet sind. Das Investment der Messe wäre nicht weiter gefährdet.