Heinz Weinhausen
Sozialistische Selbsthilfe Mülheim
Düsseldorfer Str. 74
51063 Köln


Offener Brief an
Frau
Dr. Eva Bürgermeister
SPD-Fraktion
Rathaus (Spanischer Bau)
50667 Köln

Köln, den 15.04. 2006

Unzumutbar
betr.: Rede im Rat der Stadt Köln am 4. April 2006


Sehr geehrte Eva Bürgermeister,

in Ihrer Rede für die SPD in der Ratssitzung vom 4. April zum Thema "Barmer Viertel" mussten deren ehemalige Bewohnerinnen und Bewohner nach ihrer Umsiedlung auch noch dafür herhalten, den Grund für den Abriss ihrer Häuser zu liefern. Es sei Ihnen nicht zuzumuten, wenn nach der Umsiedlung nun andere dort, wenn auch nur vorübergehend, wohnen würden. Dies klingt nun merkwürdig, weil Politik, Verwaltung und die Geschäftsführung des Erbbauvereins stets hervorheben, dass alle freiwillig umgezogen seien und ihre neuen modernen Wohnungen zu schätzen wissen. Warum sollten sie dann neidisch sein, wenn nun andere in ihren alten Kaschemmen darben? Und das auch noch bei unzumutbarer Insellage?

Wir von der Initiative Barmer Viertel sprechen mit den Menschen und haben ganz andere Stimmen ehemaliger Bewohnerinnen und Bewohner gehört. Und einige waren sogar im Fernsehen zu vernehmen, nämlich im Spiegel-TV am Sonntag, den 2. April.

Josefa Pruskowski, ehemalige Bewohnerin: "Ich halte es für furchtbar, dass die Häuser wegsollen. Ich finde, sie sollten bleiben. Sie sind noch komplett und sollten wieder bewohnt werden. Gerade hier so eine Ecke. Die Messe hier und alles, das ist ja kein Wohngebiet mehr. Wo wohnt denn hier noch jemand? Abends ist es denn tot."
.
Spiegel-TV: "Student Raphael lebte bis vor kurzem im Viertel und unterstützt jetzt die Besetzer. Er versteht nicht, dass bei Wohnungsknappheit gut ausgestatteter Mietraum zerstört werden soll."
Raphael Haugwitz: "Ich habe hier gewohnt bis Juli 2004. Dann ist mein Zeitvertrag ausgelaufen und dann mußte ich ausziehen, obwohl ich eigentlich gar nicht so richtig wollte. Meine Wohnung, die ich jetzt habe ist deutlich teurer und auch deutlich kleiner. Sie ist bei weitem nicht so schön."

Spiegel-TV: "Auch der ehemalige Arzt des Viertels (Dr Bihari) ging nicht freiwillig. Er klagte gegen die Umsiedlung in mehreren Instanzen. Doch als der Streitwert des Verfahrens zu hoch wurde, musste er seine Praxis im Barmer Block überstürzt räumen."
Dr. Bihari:" Ich musste einen Tag vor der Zwangsräumung die Räumlichkeiten verlassen."
Spiegel-TV: "Hat Sie das berührt, dass sie aus dem Viertel wegmussten?"

Dr. Bihari: "Das können sie sich gut vorstellen, wenn ich gut 25 Jahre dort Arzt war. Und im Grunde genommen waren alle Patienten und Mitbewohner mit ihren Wohnungen einverstanden. Die meisten Leute wollten gar nicht ausziehen." (Kleiner Exkurs. Der Streitwert betrug die Kleinigkeit von 100 Millionen Euro.)

Und diese Stimmen haben Sie, Frau Bürgermeister, sogar selbst vernommen, als wir VertreterInnen von der Initiative Barmer Viertel mit Ihnen, Ihrem Parteivorsitzenden Jochen Ott und Namensvetter Herrn Ott vom Vorstand der GAG einen Tag vor Ihrer Rede, am 3. April, im Infowagen des Barmer Viertels zusammensaßen und uns zunächst den Spiegel-TV Beitrag ansahen.

Frau Bürgermeister, Sie hörten die Stimmen ehemaliger Bewohnerinnen und Bewohner, aber diese konnten Sie nicht erreichen.

Überzeugender wird die Geschichte von der Unzumutbarkeit nämlich in ganz anderer Hinsicht. Es ist den Mitgliedern der SPD-Fraktion nicht zuzumuten, dass sie beschliessen, zum "Wohle der Kölner Bürgerinnen und Bürger" (Jochen Ott) tausend Menschen für viele Millionen für erträumte Investitionen aus ihrem Viertel zu dealen, um dann feststellen zu müssen, dass andere im beliebten Barmer Block wohnen wollen.

Es ist ihnen als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten fürwahr nicht zumutbar, dass außer sie selbst kaum jemand die neue sozialdemokratische Dialektik im 21. Jahrhundert versteht: Unsozial sein, um später eventuell Geld zu verdienen, um zukünftig eventuell sozial sein zu können.

Deswegen ist wohl auch seitens ihrer Partei die Förderung von Bildung viel beschworen und sehr vonnöten. Selbst bei den Jusos zeigt sich Nachholbedarf. Sie sind bekanntermaßen in den Barmer Block gezogen und haben dort ein neues Büro eröffnet. Im Film von Spiegel-TV offenbart Vorstandsmitglied Benedikt Dettling seine Defizite: "Wir werden auf jeden Fall versuchen, unser Büro zu verteidigen. Wir werden dann hier sein, wenn geräumt wird. Wenn die SPD uns mit Gewalt aus dem Büro schmeissen will, dann soll sie es versuchen."

Auch seine Stimme ist vernehmbar, wird die Mitglieder der Fraktion aber nicht erreichen können. Armes modernes Köln.


Mit freundlichem Gruß

Heinz Weinhausen


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