Die Zeit 23.03.2006


Erst mal abreißen

Die Stadt Köln ließ ein Wohnviertel räumen - und niemand weiß, wozu. Nun gibt es in Nordrhein-Westfalen wieder Hausbesetzer.

von Eva-Maria Thomas

KÖLN - Willkommen in den frühen Achtzigern, im Reich der Lederjacken, Punkfrisuren und Spraydosen! Es ist wieder so weit: Köln hat eine neue Hausbesetzerszene. Ihre Helden nennen sich, wie damals in Berlin, "Instandbesetzer", obwohl die Gebäude, um die es hier geht, noch gut in Schuss sind. Eine Tür der alten Genossenschaftshäuser neben dem ICE-Bahnhof Köln-Deutz steht offen, Mischlingshunde tollen herum. Im Info-Cafe' hat sich eine Gruppe Punks festgesetzt. Ein Sprayer verziert eine Mauer mit einem sich schwülstig räkelnden Frauenakt, der, spärliches Zugeständnis an die Gegenwart, vor zwanzig Jahren wohl noch als politisch unkorrekt gegolten hätte. Zu Dutzenden stromern Besucher durch die leer stehenden Häuser, manche helfen sogar beim Transparentemalen. "Die Leute haben die Nase voll davon, wie die unser Geld verschwenden", sagt einer der Besetzer.

Mit "die" ist die Kölner Stadtspitze gemeint, die immer wieder mit umstrittenen und vor allem teuren Immobilienprojekten Schlagzeilen macht. Auch der Anlass dieser Hausbesetzung ist zumindest ein Nachweis erstaunlicher Ungeschicklichkeit. Ein ganzes Wohnviertel mit insgesamt 381 Wohnungen soll abgerissen werden, eine Maßnahme, die selbst SPD-Fraktionschef Martin Börschel als "schwer vermittelbar" bezeichnet. Denn was anstelle der Wohnungen hier dereinst einmal entstehen soll, ist völlig offen.
Wie üblich standen am Anfang hochfliegende Pläne. Ein glitzernder Handels- und Dienstleistungsstandort sollte in dem vom Strukturwandel gezeichneten Stadtteil Deutz entstehen, hofften die Stadtväter in den neunziger Jahren. Das Barmer Viertel, ein Stück altes Köln zwischen Bahnstrecke und Kölner Messe mit einst denkmalgeschützten Häusern und preiswerten Genossenschaftswohnungen, war dabei im Wege.

Die Kölner wollten hoch hinaus. Zu hoch

Damals wollte Köln hoch hinaus. Den ersten Plan für das Areal legte die Stadtspitze ad acta. Häuser von gerade mal 60 bis 80 Meter Höhe empfand man wohl als zu kleinkariert. Der Folgeentwurf protzte pflichtgemäß mit Büro türmen zwischen 100 und 120 Metern. Das sollte der Stadt Köln zum Verhängnis werden. Die Unesco erhob Einspruch gegen die Wolkenkratzer im Sichtfeld des als Weltkulturerbe geschützten Kölner Doms. Die Fronten verhärteten sich, als Kölns CDU-Oberbürgermeister Fritz Schramma sich die Einmischung der Unesco barsch verbat. 2004 wurde der Dom auf die rote Liste gefährdeter Weltkulturgüter gesetzt, und im Dezember des vergangenen Jahres gab Köln auf. Der Stadtrat zog den Bebauungsplan zurück.

Nun soll bis zum Sommer ein komplett neuer Plan für Deutz erarbeitet werden. Auf das vordem geplante große Kongresszentrum mag inzwischen niemand mehr Wetten abschließen. "Inzwischen hat sich die Welt weitergedreht", bedauert Jörg Frank, der grüne Vorsitzende des Kölner Liegenschaftsausschusses. Während die Kölner sich mit der Unesco herumstritten, hat Bonn im ehemaligen Regierungsviertel Fakten geschaffen. Ein weiteres Kongresszentrum dürfte die Region nun nicht mehr brauchen. "Es gibt keine derartige Halle, die schwarze Zahlen schreibt", räumt selbst OB Schramma ein. Dummerweise hat die Stadt schon 65 Millionen Euro in ihr Projekt investiert. So viel hatte es gekostet, das Barmer Viertel zu räumen, auf dessen Gelände das Kongresszentrum nun wohl doch nicht entstehen soll. Die Wohnungsgenossenschaft Erbbauverein hat für dieses Geld vielerorts neue Wohnungen gebaut und die Mieter in einer der größten Umsiedlungsaktionen der Nachkriegsgeschichte friedlich und geräuschlos auf die Stadt verteilt. Nicht allen Bewohnern fiel es leicht, sich von ihrem Viertel und seiner gewachsenen Nachbarschaft zu trennen. Man wohnte laut zwischen Bahn und Messe. Aber die Wohnungen waren preiswert, gut gepflegt und boten zum Teil sogar den in Köln hoch geschätzten Blick auf den Dom. Der grüne Innenhof war ein beliebter Treffpunkt und für die Stadtkinder ein Segen, die Lage zentral und verkehrsgünstig.

Nun könnte dort auf Jahre Deutschlands teuerster Parkplatz entstehen. Und die Empörung der Kölner wurde nicht kleiner, als Gerüchte die Runde machten, die Stadt wolle einen großen Teil des Geländes für gerade einmal 16 Millionen Euro an eine Investorengruppe verkaufen, an der auch das in Köln einschlägig vorbelastete Bankhaus Oppenheim beteiligt ist. Dann schon lieber eine Haus besetzung? Jedenfalls stieß die Besetzung des Barmer Viertels Anfang März in der Stadt auf unverhohlene Zustimmung. Zu groß ist der Ärger über all die lukrativen Immobilienprojekte des Oppenheim-Esch-Fonds von der Köln-Arena und dem Technischen Rathaus bis zu den neuen Messehallen, die der Stadt stets Kosten und finanzielle Risiken eingebracht haben.

Jedoch, der Ausschussvorsitzende Frank dementiert, dass ein solches Kaufangebot überhaupt existiert. "Für ein Investment des Bankhauses Oppenheim wird man im Rat derzeit keine Mehrheit finden", sagt er. Doch das Vertrauen der Bürger in die Immobiliengeschäfte ihrer Stadt ist nach den Skandalen der vergangenen Jahre gering.


Ein langer Rechtsstreit käme den Besetzern gut zupass

Unterdessen zeigen sich Stadtverwaltung und Politik entschlossen, das Barmer Viertel wie geplant bis zum Sommer abreißen zu lassen. Eine freie Fläche, hofft man, werde sich besser vermarkten lassen - zu welchem Zweck auch immer. Doch dem Erbbauverein, der im Auftrag der Stadt die Abrissarbeiten übernehmen sollte, wird die Angelegenheit nun offenbar zu heiß. Die Genossenschaft übereignete ihren Stadtteil in der vergangenen Woche vorzeitig der Stadt. Offizieller Grund: Die Stadt habe das Ausschreibungsverfahren für den Abriss durch Schlamperei zum Platzen gebracht; nun seien die Termine nicht mehr zu halten. Wahrscheinlicher ist, dass die brave Wohnungsbaugenossenschaft ihren guten Ruf nicht durch Räumung und Abriss besetzter Häuser gefährden will. Rechtsdezernent Peter Michael Soenius droht nun, den Erbbauverein zu verklagen

Die Besetzer freut die Aussicht auf einen langen Rechtsstreit. Sie beginnen mit der Instandsetzung der Wohnungen.


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