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CONTRASTE - April 2006

Barmer Viertel: 240 Wohnungen besetzt

Wir sind DEUTZland

Heinz Weinhausen, Redaktion Köln

Armes Köln. Der sogenannte Kölsche Klüngel hat in den letzten Jahren ein Desaster nach dem anderen produziert. Höhepunkt: Im Dezember 2005 blieb von den hochtrabenden Bauplänen eines neuen ICE-Bahnhof mit gläserner Halle und extremen Bürohochhäusern nur noch das Papier übrig. Alle Investoren waren abgesprungen. Aber da waren schon 1.000 Menschen umgesiedelt. Was blieb, war das Geisterstädtchen Barmer Viertel mit seinen Häusern und 381 intakten Wohnungen, mitten in Köln im Stadtteil Deutz gelegen. Nun begann der Irrsinn hoch zehn. SPD und GRÜNE, die neuen Koalitionsparteien in Köln, bestehen darauf, das Viertel weiterhin termingerecht abzureißen, obwohl eine Bauplanrealisierung Jahre braucht und noch nicht einmal ein neuer Investor ausgemacht ist. Seitdem regt sich Widerstand mit der Losung "Kein Abriss für Parkplätze". Ab dem 4. März sieht die Welt ganz anders aus. DEUTZland ist erstanden. Der größte und schönste Häuserblöck mit seinen 240 Wohnungen ist besetzt und jedenfalls bis zur Erstellung dieses Artikels (25.3. und 22. Besetzungstag) nicht geräumt.

Wie ein kleines gallisches Dorf liegt das Barmer Viertel umgeben von der Geschäftswelt. Südlich und westlich der zweitgrößte Kölner Bahnhof, nördlich direkt angrenzend die Kölner Messe, östlich direkt an der grossen Deutz-Mülheimer Verkehrsstaße liegt der Eingang zu dem besetzten Komplex (Barmer Block genannt), das Haus mit der Nr. 31. Anfang des 20. Jahrhunderts baute die Genossenschaft "Erbbauverein" den Barmer Block mit schönen Wohnungen, wunderbarem Innenhof (eher ein Park) und vielen Balkonen. Einige Häuser sind sogar im Jugendstil gebaut. Noch in den neunziger Jahren wurden die Wohnungen modernisiert, vor einigen Jahren die Dächer neu gedeckt.

Mit dem Beginn des 21. Jahrhundert machte sich in Köln lokaler Größenwahn breit. Köln sollte nach den Plänen der Politik (damals schwarz-grün) bedeutende Weltstadt werden. Prestigeobjekte, Bürohochhäuser, Kongresshalle, nobler ICE-Bahnhof Deutz und so fort. Wo die große Geschäftswelt sich niederlässt, wo die TouristInnen der Welt angelockt werden, da scheint das Wunder eines blühenden Köln nicht fern: steil steigende Gewerbesteuern, mehr Arbeitsplätze, weniger Hartz IV-Empfänger. Und endlich, so die politische Phantasie, würde auch das Soziale wieder bezahlbar. Wegen der Dauerkrise von Arbeit, Markt und Staat durch die fortschreitende Computerisierung und Rationalisierung haben sich diese Pläne inzwischen alle in Luft aufgelöst. Die Kosten dafür allerdings nicht. Gelder für die riesigen Investitionen mussten her (u.a. aus Sozialtöpfen genommen), Menschen mussten dem Business weichen.

Wie im Falle des Barmer Viertels: Die Häuser und ihre 1.000 BewohnerInnen sollten weg, koste es, was es wolle. Dem Eigentümer, dem Erbbauverein, wurde dies durch einen sehr hohen Verkaufspreis von 67 Millionen Euro seitens der Stadt Köln extrem versüßt und ganz neu bauen lassen konnte. Dies entspricht einem Quadratmeter-Preis von ca. 4.000 Euro. Weltniveau, da kann nur Tokio und New York mithalten. Aber alles kein Problem, tönte seit 2001 stets die Stadtverwaltung, abgesegnet von Ratsbeschlüssen von CDU, SPD, Die GRÜNEN, und der PDS (heute die Fraktion DieLinke.Köln), weil Investoren bereit ständen und das Geld wieder "einspielen" würden.

Ein Kongresszentrum sollte entstehen und "ein Messefoyer", flankiert von einem Hotel- "teilweise als Hochhaus" mit 29 Geschossen und 130 m Höhe, und "ein weiteres Büro-Hochhaus mit angrenzender 7-geschossigen Bebauung", mit nicht weniger als 36 Geschossen und 150 m Höhe. Im neuen ICE-Bahnhof unter einem riesigen Glasdach für 10 Millionen Euro mit "direktem Anschluss an die Ausstellungsflächen" der Kölner Messe in dem "in Europa einzigartigen Verkehrsknotenpunkt" sah die Stadtverwaltung Köln nicht nur "eine ausgesprochen positive Zukunftsaussicht", sondern bis zum Jahre 2008 sogar den Transrapid einschweben.

Im Dezember 2005 ist also die letzte der Seifenblasen geplatzt. Alle vermeintlichen Investoren sind abgesprungen. Stillstand für Jahre. Trotzdem weiß Baudezernent Streitberger nur zu verkünden, dass er "Kräne sehen will" für den ehemals beschlossenen Abriss. Anstatt die Wohnungen wenigstens für einige Jahre freizugeben bis eine neue solide Bauplanung steht. Und die Häuser solange zum Beispiel dem interessierten Studentenwerk zur Verfügung zu stellen. Oder für Bedürftige. Oder Raum zu geben für ein soziales Zentrum, für Projekte wie Umsonstladen oder für eine Kommune. Oder überhaupt für Wohnungssuchende. Stattdessen ist der mit 67 Millionen Euro Vorauskosten wohl weltweit teuerste Parkplatz im Gespräch, natürlich unmittelbar an der Messe gelegen. Köln ist wirlich Weltspitze.


Kein Abriss für Parkplätze

Mitte Februar beginnt die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim ihre Kampagne für eine Wohnraum-Zwischennutzung. Die Initiativen der Montagsdemo haben schon Ende Dezember auf die Misere hingewiesen und für den 18. Februar eine Demonstration zum Erhalt der Siedlung organisiert. Dabei wird bereits ein Haus des Barmer Blocks kurzzeitig besetzt, um ein Transparent aufzuhängen. Die SSM startet daran anschliessend ihre Dauerkundgebung mit einem Info-Bauwagen mitten im Barmer Viertel, die bis heute andauert. Was bedeutet, dass stets mindestens zwei Menschen vor Ort sind und Interessierte stets freien Zugang haben. Ein Anlaufpunkt vor Ort ist geschaffen. Es werden Briefe an den Oberbürgermeister, an den Regierungspräsidenten, an PolitikerInnen geschrieben und veröffentlicht, erste Artikel geschrieben, Flugblätter entworfen und verbreitet, eine Homepage eingerichet. Ein Bürgerantrag für eine Sondersitzung des Rates und für eine Zwischennutzung wird eingereicht, eine Strafanzeige wegen Veruntreuung kommunaler Gelder gestellt und die Presse fast täglich informiert. Weitere UnterstützerInnen kommen dazu, die Initiativen der Montagsdemo protestieren weiter. Besuche und Gespräche mit Vertretern aller Fraktionen beginnen. Ein erstes Ergebnis: Die Fraktion "DieLinke.Köln" ändert unter den neuen Rahmenbedingungen ihren Kurs und setzt sich für die Zwischennutzung ein. Es folgt die erste Überraschung. Der schon gemunkelte Abriss für Anfang März blieb aus. Schließlich startet am Samstag, den 4. März, die Besetzung mit fünfzig Menschen, darunter auch Mitglieder von SSK und SSM. Die "Initiative Barmer Viertel" wird von den HausretterInnen gegründet, ein Bündnis von Montagsdemo, Osterinsel, Soziales Zentrum, Stiftung Unruhe, SSK, SSM und weiteren HausretterInnen. Seitdem zieren Transparente wie "Hier könnten 1.000 Menschen wohnen" oder "Wir sind DEUTZland" die Hauswände. Schön aus der Strassenbahn zu besichtigen, die direkt am Haus vorbeifährt. Die Presse berichtet seitdem stets positiv. Endlich ist das Thema in aller Munde. RTL sendet die sehr gelungene Reportage "Die Hausbesetzer"im Rahmen ihrer Wochenserie. Sehr deutlich wird dort, dass die Wohnungen samt Sanitäranlagen entgegen der gebetsmühlenartigen Behauptungen von Verwaltung und Politik in einem Topzustand sind. Nur Wasser, Strom und Gas sind von außen abgesperrt. Vertreter des Studentenwerkes kommen vor Ort und können sich bei Planungssicherheit den Bezug von Häusern vorstellen.

Vermehrt setzen sich auch Mitglieder innerhalb der GRÜNEN und der SPD für eine Zwischennutzung ein. Die Kölner Jusos solidarisieren sich in einer Resolution mit dem Protest gegen den Abriss. Die WASG fordert in einer Solidaritätsresolution die Fraktion "Die Linke.Köln" auf, Butter bei die Fische zu tun und für die kommende Wahl des Stadtdirektors ihre vier bereits zugesagten Stimmen zu verweigern, falls die Stadt nicht vom sofortigen Abriss abrückt. Da sich aber unverständlicherweise nichts tut bei der linken Fraktion, besetzt die "Initiative Barmer Viertel" aus Empörung mehrere Tage deren Büro.

Die zweite Überraschung. Die Genossenschaft "Erbbauverein" als Nochbesitzerin steigt am 16. März aus der Verpflichtung von Abriss und Räumung aus. In der Pressekonferenz wirft sie der Stadt Köln Vertragsbruch bei der Kooperation der Ausschreibungsdurchführung vor, weswegen auch aktuell kein Abrissunternehmen beauftragt worden ist. Nun ist die Stadt Köln über Nacht verfrühte Besitzerin geworden und hat somit den Schwarzen Peter der Räumung des Barmer Blocks gezogen. Rot-Grün bleibt allerdings bei Schutt und Asche. Die Verwaltung drückt auf die Tube und beginnt eine neue Ausschreibung des Abrisses im Eilverfahren (freihändige). Obwohl rechtlich unzulässig, wie MdR Claus Ludwig in einer Pressekonferenz darlegt.

Die Zahl der Besetzer steigt auf hundert. Ein erstes Plakat der "Initiative Barmer Viertel" wird kölnweit verbreitet: "Abriss für Parkplätze - Ist das die neue Wohnungspolitik von Rot-Grün?" Die Proteste ziehen immer weitere Kreise. Am 21. März folgt dann die Sensation. Die Delegiertenkonferenz der Grünen spricht sich gegen die Fraktionsspitze für eine dreijährige Zwischennutzung des Barmer Blocks aus. Tags darauf erklärt die Fraktionsvorsitzende Moritz, dass sie mit der SPD-Fraktion dazu Gespräche führen will. Der SPD-Parteivorsitzende Jochen Ott will allerdings durchziehen. "Wer zahlungskräftige Investoren gewinnen wolle, müsse das Gelände baureif zur Verfügung stellen." wird er in der Presse zitiert. Dies legt nahe, dass die Stadt Köln die Räumung noch vor der Ratssitzung am 4. April durchführen will, wo die DieLinke.Köln den Antrag auf Zwischennutzung gestellt hat. Tatsächlich versucht Kämmerer Soenius den Abriss ganz ohne Ausschreibung zu regeln. Der politische Preis, den die schon seit Jahren angeschlagene SPD bezahlen müsste, wäre allerdings sehr hoch. Denn wer für die sinnlose Vernichtung von 381 intakten Wohnungen und das vorausgehende Herausprügeln der HausretterInnen steht, wird große Empörung ernten und sich fragen lassen müssen, was das Soziale im Parteinamen noch soll. Konsequent wäre dann eine Umbenennung von SPD in GPD - "Geschäftige Partei Deutschland". Räumung oder nicht - es hat sich viel bewegt in Köln.

 

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